Notizbuch: Ingrids Museum

20 10 2020

Bornholmer Reminiszenzen II: Erinnerung an Martin Andersen Nexø

Dienstag, 20. Oktober 2020

Es ist ein kleines, wirklich nur sehr kleines Museum. Aber jeder Bornholm-Besucher sollte es gesehen haben. Es erinnert an einen der bedeutendsten europäischen Schriftsteller, der seine Wurzeln in Dänemark hatte und Deutschland sehr verbunden war: Martin Andersen Nexø. Eigentlich hieß er nur Martin Andersen und wählte den Namenszusatz Nexø, weil in dem Bornholmer Städtchen sein Elternhaus stand. Es dient heute als Erinnerungsstätte an den Schriftsteller. Dort habe ich Ingrid Kofod Larsen getroffen – wieder eine der unvergesslichen Begegnungen beim letzten Besuch auf meiner Lieblingsinsel.

Ingrid und ich kannten uns noch nicht, als ich mich mit ihr zum Interview verabredete. Sie ist die Leiterin der sechsköpfigen Teams, das sich ehrenamtlich um das kleine Museum kümmert. Die Verabredung klappte – wie immer in Dänemark – reibungslos. Zum Gespräch erschien Ingrid mit Kaffee und dänischen Kringeln – eine Geste, die ich in deutschen Museen noch nie erlebt habe. Da war nicht ein Quäntchen Misstrauen, noch nicht einmal Skepsis, sondern nur Offenheit. Ich habe das über Ingrid schon einmal In Facebook geschrieben: Sie ist eine der [sie mag mir das Adjektiv nachsehen] bezaubernden, geradezu süßen älteren Damen, an denen Dänemark so reich ist.

Und was ich an Interviewpartnern so mag: Sie war stolz auf ihre Arbeit und das Museum, ohne arrogant zu wirken. Aber nun zu Martin Andersen Nexø: Er hat nur drei Jahre in dem Haus gewohnt, von 1882 bis 1884. Das Museum wurde 1990 eröffnet, seit 1993 steht das Haus unter Denkmalschutz. Gerade ist es renoviert und umgestaltet und modernisiert worden. Die Ausstellung zeigt Porträtgemälde, Fotografien, Fotokopien seiner Briefe und persönliche Gegenstände. Und viele seiner Bücher.  Seine Werke wurden 10 Millionen Mal verkauft und in 44 Sprachen übersetzt.

Aber seien wir mal ehrlich: Wer von uns kennt schon Martin Andersen Nexø, den wohl bedeutendsten Vertreter der dänischen Arbeiterliteratur- Der Arbeiterklasse fühlte er sich Zeit seines Lebens verbunden, stammte er doch selbst aus ärmlichen Verhältnissen. Er wurde 1869 in Kopenhagen geboren und zog 1877 nach Bornholm. Das äußerst harte Leben der Bauern, Fischer und Arbeiter auf der Insel schildert der erste Teil des 1906 bis 1910 erschienenen vierbändigen Romans „Pelle der Eroberer“. Dieser Teil des Romanzyklus wurde  durch den gleichnamigen Film des Regisseurs Bille August berühmt, der 1987 auf Bornholm gedreht und ein Jahr später mit der goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet wurde. Er Film errang sogar einen Oscar als bester fremdsprachiger Film. Ein Jahr vor dieser berühmten Verfilmung drehte die Defa einen Film über das gleiche Thema und mit dem gleichen Titel, der im Fernsehen der DDR ausgestrahlt wurde. Ein ebenfalls sehr  sehenswerter Streifen.

Als Mitglied der dänischen kommunistischen Partei kam Martin Andersen Nexø 1941 während der deutschen Besetzung in Haft, aus der er zwei Jahre später über Schweden in die Sowjetunion floh- Nach dem Krieg kehrte er zwar nach Dänemark zurück ließ, sich aber 1951 In der DDR nieder. War Ehrendoktor der Universität Greifswald und Ehrenbürger der Stadt Dresden, wo er ab 1952 wohnte. Er starb 1954 im Alter von 84 Jahren und wurde in Kopenhagen auf dem berühmten Assistenz Friedhof beerdigt.

Nach der Wende bestand in Dresden kein Bedarf mehr an seiner Villa, die lange als Erinnerungsstätte gedient hatte. Ich war zufällig auf Bornholm und in Nexø, als 1990 sein Elternhaus in das Museum umgewandelt wurde. Damals wurden in dem frischgebackenen Museum antiquarischen ein paar Werke von ihm verkauft, die man aus Dresden herübergeschafft hatte. Ich erwarb einige Bücher, die heute in meiner Bibliothek stehen – ungelesen, wie ich gestehen muss. Das hole ich jetzt nach.