Notizbuch – VON ANGESICHT ZU ANGESICHT: Alle lieben „unsere Gabi“

16 08 2023

Seit Jahrzehnten kreuzen sich berufliche und private Wege von Gabriele Hartmann und mir

Wenn sich Freundinnen oder Freunde über Gabriele [„Gabi“] Hartmann unterhalten, sprechen sie von „unserer Gabi“. Ich habe in den vergangenen 45 Jahren – so lange, schätze ich, kennen Gabi und ich uns schon – noch nie jemanden getroffen, der Gabi nicht leiden kann. Mehr noch: Es ist einfach unmöglich, dieses quirlige Menschenkind nicht zu mögen.

Gabi wird bald 67 Jahre alt. Aber niemand sollte sich eine graugewandete Rentnerin vorstellen, die im Park Tauben füttert. Gabi ist immer noch der alte Wirbelwind. Wenn sie nach Berlin zu Besuch kommt, legt sie solch ein Programm vor, dass ihren Gastgebern die Puste auszugehen droht. „Wenn ich zum Tanzen in Clärchens Ballhaus gehe, treffe ich gleich 20 Leute“, erzählt sie.

Daheim in Freiburg, wo sie seit zehn Jahren lebt, arbeitet sie als selbständige Gästeführerin für Menschen mit Behinderungen und als Übersetzerin für Leichte Sprache. Neben Singen sind ihre Hobbies Tanzen und Walken mit Stöcken „jeden Tag“ [Gabi].  Zweimal in ihrem Leben hat Gabi den Krebs besiegt.

Was an Gabi Hartmann so fasziniert, ist ihre Offenheit. Sie ist herzlich und wendet sich ihren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern zu. Wenn sie neugierig ist – und sie ist immer neugierig –, fragt sie ihrem Gegenüber Löcher in den Bauch, ohne aufdringlich zu wirken. Mit Sicherheit wird sie nicht immer gut gelaunt sein, aber ihre Sorgen trägt sie nicht nach außen. Ich habe Gabi auch in den schwierigsten Reisesituationen noch nie griesgrämig erlebt.

Schon als Kleene war sie wohl schon ein Wonneproppen [Foto links]. Zuviel des Lobes? Wer jetzt diesen Eindruck hat, sollte Gabi mal kennenlernen. Es ist leicht, mit ihr in Kontakt zu kommen. Sind einmal Freundschaften entstanden, pflegt sie diese. Auf den beruflichen Stationen ihres Lebenslaufs hat sie viele Freunde gewonnen. Eine Kurzfassung: Abitur in Berlin 1975, Ausbildung zur Dipl. Bibliothekarin an der Freien Universität Berlin von 1976 bis 1979, dann Tourismus-Studium an der Freien Universität 1979 und 1980 [dort mich als Dozent kennen gelernt], danach freiberufliche Tätigkeit – u.a. für die Reiseredaktion der Zeitschrift „test“ der Stiftung Warentest mit mir als zuständigem Reiseredakteur. Von 1984 bis 1990 jeweils Halbtagsbeschäftigung  im Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen und in meinem 1981 gegründeten Redaktionsbüro. 1990 bis 2013 als Seminarmanagerin und Pressesprecherin beim Deutschen Seminar für Tourismus; dort auch meine Presseseminare betreut.

Suchbild: Wo steckt Gabi Hartmann beim Deutschen Seminar für Tourismus [oben]. Im ITB-Team des Redaktionsbüros Schwartz [unten] ist sie leichter auszumachen

Gabis Herz hat schon immer für den Tourismus geschlagen – und dort besonders für alle alternativen Reiseformen. So hat sie 1984 die Halle Anders Reisen für die ITB Berlin ausgerichtet.

Wir waren häufig zusammen auf Recherchenreisen für Reiseführer unterwegs, mehrfach nach Jugoslawien und Malta. In kürzester Zeit haben wir gemeinsam einen Malta-Reiseführer für den LN-Verlag gestemmt. Die erste Auflage erschien 1989 mit dem Vermerk im Impressum: „Autor und Verlag danken Gabriele Hartmann für die Mitarbeit an diesem Buch.“

Auch auf die kleine dänische Insel Bornholm führten mehrere gemeinsame Recherchenreisen für einen Dumont-Band der Reihe „Richtig reisen“. Während ich noch in meinem Ferienhaus-Bett schlummerte, drehte Gabi schon große Jogging-Runden. Einmal zog ich mir am letzten Arbeitstag auf Bornholm einen Muskelfaser-Riss zu. So konnten wir uns bei der nächtlichen Rückfahrt mit dem Auto nicht beim Fahren abwechseln. Damit Gabi vor lauter Müdigkeit nicht einschlief, haben wir Lieder geschmettert. Als uns keine mehr in den Sinn kamen, haben wir uns auf unsere katholische Vergangenheit besonnen und – Kirchenlieder gesungen. „Maria, breit den Mantel aus“ und so…

    Gabi und Bautasteine auf Bornholm. Die Flusen im Bild – das ist der                                Staub der Zeit. Das Foto ist 40 Jahre alt…

Berlin ohne „unsere Gabi“, Gabi ohne Berlin – das war für ihre Freundinnen und Freunde viele Jahre nicht denkbar. Gabis Familie lebt noch in Berlin. Sie selbst wohnte von 1981 bis 2012 in der Admiralstraße in Kreuzberg  in einem anfangs besetzten Haus, das die Bewohner später vom Land Berlin in Erbpacht überlassen bekamen. Ich erinnere mich an so manche fröhliche Runde in Gabis Wohnung und an Feste im Hof des Hauses.

Gabis Kenntnisse über Berlin, die Geschichte der Stadt und der Anekdoten ihrer Bewohner verblüffen immer wieder. So manches davon ist in den LN-Reiseführer „Berlin“ eingeflossen, an dem wir kurz vor der Wende auch gemeinsam gearbeitet haben.

Während einer Dienstreise für mein Redaktionsbüro nach Italien lernte sie den renommierten Reisejournalisten Wolfgang Weiler [Foto]  kennen, damals noch Chef der Reiseredaktion der Morgenpost. Gabi folgte ihm, als dieser von Berlin nach Freiburg ging. Längst hat das Paar Silberne Hochzeit gefeiert.

Eigentlich wollte ich hier noch ein wenig über Gabis Mann erzählen, der kommendes Jahr 70 wird. Aber Wolfgang Weiler [„Wolle“] – der ist ein eigenes Porträt wert. Gefragt habe ich ihn noch nicht…





Notizbuch – VON ANGESICHT ZU ANGESICHT: Bent, der Rattenfänger

25 04 2023

Was ist ein Sinnfluenzer? Und ein Potenzialentwickler? Der junge Unternehmer Bent Neumann kann das erklären. Denn er lebt diese Berufe

Bent Neumann ist ein Rattenfänger. Das meine ich nicht negativ sondern als großes Lob. Vielleicht wäre der Ausdruck Menschenfänger oder gar Menschenfischer passender, aber der hat mir einen zu christlichen Touch. Also Rattenfänger. Den „Ratten“ sagt Bent allerdings nicht, dass sie seinen [Flöten-]Tönen folgen müssen. Er weist ihnen nicht den Weg. Den müssen sie schon selber finden.

Bend hat zwei Berufe: Er ist Sinnfluencer [was für ein tolles Wortspiel, was für ein köstlicher Begriff! Muss ihn mal fragen, ob er ihn selbst erfunden hat…] und Potenzialentwickler. Bents eigene Definition der Begriffe: „Als Sinnfluencer inspiriere ich andere Menschen, nach dem Sinn für sich im Leben zu suchen und ihn mutig auszuleben – vor allem, indem ich Einblicke in meine Geschichte und die von anderen Menschen gebe.“ Und „als Potenzialentwickler begleite ich Menschen und Unternehmen ganz konkret in ihrer Weiterentwicklung von einem Bewusstseinsniveau zum nächsten.“ Alles klar?!

Wenn’s noch ein paar Jobs mehr sein dürfen: Bent ist auch Podcast-Host, Speaker, Mindset-Couch und Unternehmensberater. Manches Arbeitsfeld geht nahtlos in das andere über. „Für mich gibt es nichts Schöneres, als täglich andere Welten kennenzulernen“, sagt der 30-jährige dazu, „das Gute und Kraftvolle darin zu finden und in Aktion zu bringen.“

Bent hat die hochentwickelte Begabung, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und ihnen zu helfen, ihr eigenes Potenzial zu entdecken und ihren Lebenssinn zu finden. „Was dabei nicht geht“, hat er mir mal erklärt, „zu sagen: Mach das so und so, dann geht es gut…“ Und: „Es gibt keine Universallösung – weder für Unternehmen und Schulen noch für einzelne Menschen.“

Da fing das alles an, das mit dem Ratten- oder Menschenfangen: in der Schule. Ab dem 10. Schuljahr bis zum Schulende wirkte Bent in einer Streitschlichter-AG seines Gymnasiums mit, der Fichtenberg Oberschule. „Da begann ich, mich in andere hinein zu denken“, sagt er heute über diese Zeit. Das muss ihm gut gelungen sein, denn ein Jahr später wurde er zum Schulsprecher gewählt. Das blieb er bis zum Abitur. Es folgte ein „evolutionärer Sprung“ [Bent], ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Bildungseinrichtung mehr als lernen e.V. „Seit 2005 helfen wir mit unseren vielfältigen Bildungsangeboten in Bereichen wie Zukunftsorientierung, Schulgestaltung und Sozialkompetenztrainings jungen Menschen dabei, Kompetenzen zu entwickeln, die sie in ihrem Leben weiterbringen und die Gesellschaft als Ganzes unterstützen“,

heißt es auf der website des Vereins. [Bild rechts: Bent, mit dem Mikrofon vor der Nase bei mehr als lernen] Bent blieb nach dem FSJ, und er blieb lange: Fünfeinhalb Jahre arbeitete er als einer der beiden Geschäftsführer. „In dieser Zeit habe ich verstanden, wie Demokratie funktioniert“, sagt er. In dieser Zeit expandierte mehr als lernen stark und entwickelte weitere Aufgabenfelder.

Parallel zum aufreibenden Job hat Bent Erziehungswissenschaft und BWL studiert – „19 Semester lang und nie abgeschlossen“. Aber eine Zeitlang habe ihm das Studium richtig Spaß gemacht, erzählt er. Da war er beflügelt vom renommierten Erziehungswissenschaftler Jan Henrik Olbertz [von 2010 bis 2016 Präsident der Humboldt-Universität], der ihm „die Geisteswissenschaft schmackhaft gemacht“ hat.

Bent: „Ich hatte immer Menschen, die mir die Türe geöffnet haben.“ Er gründete – nach eigener Einschätzung „immer mutig, wenn nicht übermütig“ – seine eigene Firma. Und er war für eine Unternehmensberatung als Potenzialentwickler tätig und hat in Firmen „mit den unterschiedlichsten Hierarchiestufen gearbeitet“.

Sinnfluencer und Potenzialentwickler. Als Sinnfluencer zu wirken ist die Aufgabe seiner eigenen Firma, als Potenzialentwickler entwickelt er mit dem Unternehmensberater, mit dem sich seine eigene Laufbahn schon lange verbindet, dessen Firma weiter: „Wir wollen Firmen bei der Langzeitentwicklung helfen.“ Bent teilt viele der Entwicklungsgeschichten im  Podcast und viele der Entwicklungsschritte im Internet. Er hat ständig neue Ideen und bastelt an neuen Projekten. Das erinnert mich an den französischen Multi-Künstler Jean Cocteau, dem ein Reporter vorwirft, er habe zu viele Projekte gleichzeitig. „Ja, ich hangle mich wie ein Affe von Ast zu Ast“, lautet seine Antwort, „aber es ist immer derselbe Baum.“

Andererseits prägt Beständigkeit Bents Leben. Schon als Knirps hat Bent Fußball gespielt, und er spielt noch heute. Fußball, so sagt er, sei für ihn Gemeinschaft. Und er denke nicht nach beim Fußball. Seit kurzem hat er wieder eine Freundin, zu der sich mir der Begriff „zauberhaft“ aufdrängt. Und da ist noch sein Kreis männlicher Freunde, fünf sind’s im engeren Kreis, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Sie gehen schon seit vielen Jahren buchstäblich durch Dick und Dünn, lachen viel, wenn sie zusammen sind, wälzen gemeinsam ihre Probleme und verreisen auch ab und zu gemeinsam.

Meist ist dann Bornholm das Ziel. Bent liebt diese Insel schon seit Kindheitstagen und nutzt sie häufiger als Fluchtpunkt, wenn seine Batterien – die mentalen und/oder die körperlichen – wieder aufgeladen werden müssen. Obwohl sein Vorname dänisch ist, hat Bent keine dänische Wurzeln. Aber er ist ausgesprochen Dänemark-affin, und als er vor Jahren mal ein Jahr in Kopenhagen studierte, hat er überlegt, für immer dort zu bleiben. Bent wäre nicht Bent, würde es ihn ab und zu nicht wieder nach Kopenhagen ziehen. Fixpunkt in seinem Kopenhagen-Programm ist wieder ein Freund, ein  Kopenhagener mit Insider-Wissen.

Als Bent 30 wurde, letzten Herbst, kamen viele, die er liebt und schätzt, zu einem rauschenden Fest zusammen: die weitverzweigte Patchwork-Familie, Weggefährten und Weggefährtinnen, Freundinnen und Freunde [auch der aus Kopenhagen] – und sein Lieblingslehrer von der Fichte.

Übrigens: Bent ist mein Sohn.





Notizbuch – SCHULTERBLICK: Kunstwerke mit Schere, Papier und Farbe

14 01 2023

Jens Jacob Sabber war ein außergewöhnlicher Künstler auf der dänischen Insel Bornholm

Jens Jacob Sabber lebt es von 1938 bis 2005. Was hat er nicht alles gemacht, ehe er sich der Kunst des Scherenschnitt hingab. Nachtwächter war er schon und Lehrer in einem Kindergarten, aber auch Theatermaler am Königlichen Seminar in Kopenhagen. In den 1970-er Jahren kam er nach Bornholm und hat dort jahrelang gemacht, was viele Menschen für alles andere als Kunst halten: Scherenschnitte.

Wer sich der sogenannten Psaligraphie verschreibt, muss in unseren Breiten Autodidakt sein, denn die Kunst des Scherenschnitts wird an keiner Hochschule gelehrt. Sie gilt immer noch als Jahrmarktsgaudi.

EXIF_HDL_ID_1

Wer jemals Sabbers  Werke kennengelernt hat, ist schnell vom Gegenteil überzeugt. „Die Schere“, so sagt der Meister, „fordert nicht zu naturalistischer Darstellung auf, sondern zu fantasievollen Mustern.“ Das waren bei ihm meist Dämonen und Trolle mit asiatischem Einschlag, obwohl Sabber nie in Asien gewesen ist. Unbewusst nahm er asiatische Motive auf, wenn er seine Figuren aus weißem Papier ausschnitt.

Und dann geschah etwas für Scherenschnitte Ungewöhnliches: Sabber bemalte sie mit Aquarellfarben, Gouache und Acrylfarben, denn er war auch noch Maler und Zeichner; in dieser Eigenschaft hat er an mancher Ausstellung teilgenommen.

Wer den Künstler bei der Arbeit beobachten wollte, musste sich mühsam sein – von einer überdimensionalen Schere gekrönten – Haus bei Kelseby auf Bornholm suchen, in dem er mit seinen zwei Kindern, 14 Katzen und drei Hunden lebte. Im Sommer hat der Scherenschnitt-Künstler in der Galerie Solberg in Rønne gearbeitet.

Am 26. Januar findet eine Veranstaltung zu Sabber und seinen Werken statt – s. das Ankündigungsplakat.

 

 





Notizbuch – SO FERN… Eiland mit Grußpflicht

27 08 2022

…UND MIR SO NAH: Bericht über die dänische Festungsinsel Christiansø im nd

Stell Dir mal vor: Eine Insel, auf der die Zeit stehengeblieben ist. Auf der es keine Autos gibt und keine Straßen. Auf der nur wenige Menschen leben. Die von einem Kommandanten verwaltet wird, der Verwaltungschef, Polizist und oberster Leuchtturmwärter in einer Person ist. Die Insel gibt es. Sie heißt Christiansø und liegt bei Bornholm. Eigentlich gibt es diese Insel zweimal, denn nebenan liegt die kleine Insel Frederiksø. Wie oft in den vergangenen 50 Jahren habe ich diese „Erbselninseln“ schon besucht! Heute ist in der Tageszeitung nd ein großer Bericht von mir über diese Zwillingsinsel erschienen. Hier ist der Text [meine Fotos stammen bis auf eins nicht aus dem Bericht:

Nach halb fünf wird es fast schlagartig ruhig auf den beiden Inseln Christiansø und Frederiksø. Dann ist das Postschiff „Peter“ mit den vielen Touristen wieder abgefahren. Die erwachsene Bevölkerung trifft sich jetzt zum traditionellen Plausch und Bier in der Gæstgiveri, dem hundert Jahre alten Gasthaus. „Das ist tägliche Tradition“, sagt Hans Ole Matthiesen, „aber die Teilnehmerzahl hat in letzter Zeit ziemlich abgenommen.“ Hans Ole Matthiesen, der nur Ole gerufen wird [Foto rechts] ist Tourismusbeauftragter der Schärengruppe, die knapp 20 Kilometer vor der Küste der dänischen Insel Bornholm liegt. Sie ist so klein, dass sie Ertholmene genannt wird, „Erbseninseln“.

Nur Christiansø und Frederiksø, miteinander durch eine 30 Meter lange Hängebrücke verbunden, sind bewohnt. Die dritte Insel von nennenswertem Umfang, Græsholm, ist Vogelreservat und darf nicht betreten betreten werden. Hier fühlen sich sich Alken wohl, auch Trottellummen und Eiderenten. Auf einem weiteren Inselchen haben sich Robben angesiedelt, die den Wissenschaftlern Rätsel aufgeben. Denn es sind nur männliche Exemplare, die offensichtlich irgendwann weiterziehen, um sich ein Weibchen zu suchen.

Christiansø und Frederiksø sind wirklich klitzeklein, Christiansø misst nur 710 Meter in der Länge und 340 Meter in der Breite, Frederiksø nimmt nur ein Fünftel dieser Fläche ein. Die Inseln haben nur rund 90 Bewohner, die verpflichtet sind, einander zu grüßen, wenn sie sich auf dem schmalen Raum begegnen. Die höchste Einwohnerzahl wurde 1810 ermittelt, da lebte noch 829 Bewohner auf den Inseln. Zur Bevölkerung gehören 17 Schulkinder, die nach der siebten Klasse die Inseln verlassen müssen, um auf Bornholm oder dem dänischen Festland weiterführende Schulen zu besuchen. Auch wer in Rente geht, hat kein Wohnrecht mehr auf den Inseln.

Nur wenige Bewohner sprechen den typisch bornholmer Dialekt, das dem Schwedischen verwandten Bormholmsk. Die meisten sind als kleine Kinder mit ihren Eltern auf die Insel gekommen, die hier Arbeit fanden: Verkäuferinnen und Verkäufer, eine Glasbläserin, ein Arzt, eine Lehrerin und ein Pfarrer, der nur zum Wochenende von Bornholm herüberkommt. Die meisten der Inselbewohner sind Handwerker. Nur Fischer gibt es nicht mehr, der letzte seiner Zunft wurde vor ein paar Jahren verabschiedet.

Straße am Hafen, links das Hotel

Und dann lebt seit 2019 noch Ole auf Christiansø, der Sprecher der Insel. Er ist eigentlich Ornithologe und hat zudem als studierter Archäologe viele Jahre an verschiedenen Museen gearbeitet, zuletzt war er neun Jahre Museumschef im Dänischen Nationalmuseum in Kongernes Jelling. Im Winter wohnt er mit seiner Frau in Friedericia auf dem Festland, ab März zieht es ihn wieder auf die Insel. „Es ist so schön, hier zu leben“, freut er sich Tag für Tag.  

Den täglichen Ansturm der Touristen sieht er mit Gelassenheit. Seit 1844 besteht ein Vertrag zwischen der Königlich Dänischen Post und der Inselverwaltung, der die Versorgung der Inselbewohner mit Post und lebensnotwendigen Gütern sicherstellt – und seit vielen Jahren auch mit Besuchern. Das Postschiff „Peter“ legt mehrmals am Tag in etwa einer Stunde die kurze Strecke zwischen dem Bornholmer Ort Gudhjem und den Erbseninseln zurück. Mehrere Hundert Besucher pro Tag werden in Christiansø an Land gespült, das addiert sich in guten Jahren ohne Corona auf 45.000 Touristen, in besten Zeiten waren es auch schon mal 80.000.

Bis zu 80.000 Tagesbesucher im Jahr kommen mit kleinen Schiffen von Bornholm herüber

Die vielen Schulklassen unter den Besuchern machen laut Ole keine Probleme, aber „manche Besucher pflücken unsere Blumen, obwohl sie geschützt sind“, ärgert er sich jeden Tag, „und sie klettern auf die Mauern, was streng verboten ist.“ Denn so mächtig die Festungsmauern aussehen, die die Inseln umziehen: Zu ihrem Bau wurde kein Gramm Mörtel verwendet. Sie würden stärkere Gewichte nicht heil überstehen.

Angelegt wurde die Festung mit zwei mächtigen Türmen – dem später mit einem Leuchtfeuer versehenen Store Tårn (Große Turm) auf Christiansø und dem heute als Museum dienende Lille Tårn (kleine Turm) auf Frederiksø – gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Aber nur einmal musste sie sich bewähren, und zwar im dänisch-Englischen Krieg von 1807 bis 1814: Vier Stunden lang überzog 1808 ein vor den Inseln liegender britischer Flottenverband diese mit heftigem Bombardement. Dabei wurde der Inselkommandant Johann von Kohl, so ist überliefert, verletzt und ließ sich unter Schmerzen auf den Møllebakken, den Mühlenhügel, tragen, um von dort aus die ungleiche Schlacht zu leiten. Doch als Sturm aufzog, machten sich die britischen Kriegsschiffe von dannen.

1855 wurde die Festung aufgelöst. Die Festungsanlage ist in bewundernswertem Zustand erhalten geblieben, vor allem die Bastionen an allen strategisch wichtigen Punkten. Eine der mächtigsten ist Rantzaus Batterie, in der auch die Kasematten erhalten geblieben sind. Im Erdreich können Besucher die Schleifspuren der Lafetten sehen. Die Batterie des Königs im Süden von Christiansø ist noch heute mit erstaunlich zierlich wirkenden Kanonen bestückt.

Auf der Basis der militärischen Vergangenheit sind die Erbseninseln Staatseigentum und gehören zu keiner dänischen Gemeinde, sondern unterstehen immer noch dem Verteidigungsministerium. Und so haben die Inseln keinen Bürgermeister, sondern einen zivilen Kommandanten, auch Gouverneur genannt. Er ist Verwaltungschef, Polizist und oberster Leuchtturmwärter in einer Person. Søren Thiim arbeitet mit einem kleinen Inselrat zusammen, den die Bevölkerung wählt. Das gepflegte Kommandantenhaus [Foto oben] von 1735 steht direkt am Hafen und begrüßt alle eintreffenden Besucher. Der kleine Naturhafen zwischen den Inseln ist übrigens recht beliebt bei Seglern, denn er kann auch bei steifer Brise angelaufen werden.

Ein 1831 angelegter Cholerafriedhof mit 71 Gräbern zeugt von der zeitweiligen Funktion der Insel Frederiksø als Quarantänestation. Die Insel diente auch viele Jahre als Deportations- und Gefängnisort. Das einstige Gefängnis ist heute Urlauberquartier mit fünf Doppelzimmern. Auch das zur Gæstgiveri gehörende Hotel bietet sechs Gästezimmer. Weitere sind über die ganze Insel verteilt, im Haus des Bäckers beispielsweise, im Haus des Pfarrers, in den früheren Kasernen… Auch gibt es einen kleinen Zeltplatz.

Das waren früher die Kasernen der Inselfestung

Ihre Vierbeiner müssen die Feriengäste zuhause lassen, denn Hunde und Katzen sind verboten. Das dient nicht nur dem Vogelschutz, sondern hat auch etwas mit dem Trinkwasser zu tun. Es gibt kein Grundwasser, und früher musste das Oberflächenwasser mühsam gesammelt werden. Vor einem Dutzend von Jahren wurde eine Quelle gefunden, die heute zehn Prozent des Trinkwassers spendet. Die restlichen 90 Prozent sind entsalzenes Meerwasser. Autos auf den Inseln zu verbieten hätte gar keinen Sinn, denn es gibt keine Straßen, nur Wege. Wer die Inseln auf eigene Faust durchstreift, hat in einer Stunde das Wichtigste und Schönste gesehen. Nicht nur wegen des fehlenden Verkehrs fühlen sich Tagesgäste und Urlauber auf eine südliche Insel versetzt. Nirgendwo sonst in Dänemark ist es im Jahresmittel so warm und so trocken wie auf den Erbseninseln. So gedeihen in den von niedrigen Mauern geschützten Gärten Maulbeerbäume, Feigen und Weintrauben.

Diese Passage stand auch in meinem Manuskript, ist aber aus Platzgründen weggefallen:

Eine von den vielen Führungen, die Ole – übrigens in auffallend perfektem Deutsch – anbietet, heißt „Die Ertholmene in Dänemarks Naturkanon“. Eine andere ist dem „Inselalltag einst und heute“ gewidmet, eine dritte dem heißen Thema „Bomben, Pulver und Kanonenkugeln“. Schließlich haben die Erbseninseln ihre Bezeichnung vor fünf Jahren in den werbeträchtigen Markennamen „Søfæstning Christiansø“ eingetauscht: Seefestung  Christiansø.

Reiseinfos: Anfahrt Täglich – in der Saison mehrfach – in einer Stunde ab Gudhjem/Bornholm mit dem Postschiff „Peter“. Kontakt, Informationen und Quartierbuchung: Christiansø Administration, Det Hvide Hus, Tel. +45 5646 2013 (10 bis 12 Uhr), kontor@christiansoe.dk, www.christiansoe.dk





Notizbuch – VON ANGESICHT ZU ANGESICHT: Der Mann, der immer Erster war

6 06 2022

Rainer Westermann, heute 84, hat bei zahlreichen Reiseveranstaltern neue Ziele in die Kataloge gebracht

Montag, 6. Juni 2022

Was fallen mir alles für Begriffe ein, wenn ich an Rainer Westermann denke. Weggefährte – wir kennen uns jetzt 40 Jahre, und unsere Wege haben sich oft gekreuzt. Urgestein – der Mann ist 84 Jahre alt und arbeitet seit über 60 Jahren im Tourismus. Bauchtouristiker – Rainer Westermann war als Geschäftsführer verschiedener Reiseveranstalter immer sehr risikobereit und lag meistens richtig. Ja, und noch ein Begriff hat sich beim Gespräch mit ihm in mir festgesetzt: Der Mann, der immer Erster war.

In jungen Jahren war Rainer Westermann ein schöner Mann. Alte Bilder zeigen ihn mit lockigem Haar und gewinnendem Lächeln. Auf einem Foto ist er als junger Mann [der ganz links im Bild am Telefon] während seiner Ausbildung als Flugsicherungslotse zu sehen, die er von 1958 bis 1960 genoss. Zu dieser Zeit lernte er zufällig eine Berufsberaterin kennen, die ihm die Ausbildung zum Reisebürokaufmann empfahl. Die absolvierte er von 1960 bis 1962 im IATA-Reisebüro Bellevue in Berlin. Dort stieg er schnell zum Leiter der Flugabteilung auf, betreute Firmenkunden und arrangierte Gruppen- und Pauschalreisen.

Wer an Tourismus nicht so besonders interessiert ist, kann getrost den kommenden Abschnitt überschlagen. 1964 begann die tour d’horizon durch die Westdeutsche und vor allem Westberliner Tourismus-Landschaft. Ein paar von vielen Stationen: Von 1964 bis 1976 war Rainer Westermann bei Germania- Reisen unter Vertrag, zuerst als Assistent der Geschäftsführung und dann sieben Jahre als Geschäftsführer. Zweimal, von 1976 bis 1980 und von 1996 bis 1997 steuerte der agile Tourismusfachmann die Geschicke von Unger Flugreisen. Dazwischen war er Geschäftsführer des Berliner Flugrings [BFR, 1980 bis 1982] und Geschäftsführender Gesellschaft bei Delta-Reisen [1982 bis 1993]. Aus Delta-Reisen, dem Spezialveranstalter für die Türkei, wurde WIN-Tours, aber das Programm blieb gleich.

Als Unger-Geschäftsführer auf der ITB – mit dem damaligen Messechef und „Vater der ITB“ Dr. Manfred Busche

1994 und 1995 war der Bauchtouristiker Marketing- und Vertriebsleiter von Olympia-Reisen in Bonn und Berlin. Nach der zweiten Unger-Etappe arbeitete Rainer Westermann 1998 bei Phoenix Reisen in Bonn als Koordinator der Katalogherstellung, und 1999 gründete er die Firma Westermann-Seniorenreisen. Nach der Wende arrangierte er für die Firma WIN-Tours Charterflüge von Schönefeld nach Mallorca. Heute arbeitet er für verschiedene kleine Reiseveranstalter. „Noch nie in meinem Leben habe ich mich um eine Stelle beworben“, sagt er nicht ohne Stolz.

Für den Türkei Tourismus hat Rainer Westermann regelrechte Pionierarbeit geleistet: Er führte mit Delta-Reisen ab 1982 als Erster für Touristen Charterflüge ab Berlin nach Izmir und Antalya durch. „Als ich erzählte, ich mache die Türkei, haben meine Freunde gedacht, ich hätte einen Vogel“, lacht er. Das war, wie er sagt, „sehr risikoreich“. Charterflüge für Gastarbeiter gab es da schon, Urlauber aber wurden bis dahin mit Linienflügen über Istanbul in die Türkei gebracht.

Auch in anderen Destinationen hatte Rainer Westermann die Nase immer vorn. Eine kleine Auswahl: Bei Germania bot er als erster Charterflüge nach Bornholm an, und auch mit einem Irland-Charter war er der Erste. „Der Hit bei Germania waren natürlich die dreimal in Woche stattfindenden Charter nach Westerland/Sylt,“ erinnert er sich, „damit wurde Germania richtig bekannt.“ Bei Unger Flugreisen bot er als Erster mit British Airways Flügel nach Jersey an – und avancierte Mitte der 1970-er Jahre zum Israel-Pionier: Zum ersten Mal konnten Charterflüge ab Berlin nach Tel Aviv gebucht werden.

Hat sich nie beworben. Rainer Westermann an seinem heimischen Schreibtisch. – Unten: Interview bei Kaffee und Plätzchen

Was für ein pralles Berufsleben! Und woran denkt solch ein Mann, wenn er an Urlaub denkt? „Ans Meer“, sagt er. Auch das schnucklige Haus, in dem seine Frau und er – beide haben eine Tochter, die 1967 zur Welt kam – seit genau 50 Jahren wohnen, erinnert mich an ein Ferienhaus in Meeresnähe in nördlichen Gefilden. Und dann im Inneren die große Überraschung: Bilder, Bilder, Bilder. Sie stammen von Rainer Westermanns Mutter, der Malerin und Schriftstellerin Hilde Westermann [1901 bis 1958].

Der Sohn hat die Lockdown-Phase dazu genutzt, mehrere vorzügliche Hefte über die Künstlerin zu gestalten – „Bilder“, „Holzschnitte“, „Mystische Gesänge“ [Gedichte], „Spielmannslieder“ [Gedichte] oder „Vater unser“ [Zeichnungen]. Auch seinem Vater, dem Komponisten und Lichtkünstler Helmut Westermann [1895 bis 1967], ist ein Heft gewidmet: „Musik & Vidamik“. Vidamik, so heißt es an einer Stelle, „ist eine Kunst rhythmischer Bewegungsgestaltung abstrakter optischer Gebilde, deren Intensität der Farbe, der rhythmischen Spannungen, der Formen und Linien zeichnerischer Bewegungsgestaltung künstlerische Seelenwirkungen auszulösen vermag…“ Uff! Ein eigenes Thema also. Ich komme darauf zurück.





Notizbuch: kurze Geschichten aus einem langen Reiseleben

4 05 2021

Was ich heute über mein neues Buch verate

Dienstag, 4. Mai 2021

Was für ein köstliches Gefühl! Die Texte für mein neues Buch sind fertig. Es bringt über 50 kleines Geschichten aus fünf Jahrzehnten Arbeit als Reisejournalist. Die Geschichten sind allesamt Momentaufnahmen – unter anderem aus Zeiten, in denen es noch kein Internet gab…

Bewusst und konsequent habe ich darauf verzichtet, Aufgaben und Umfeld geschilderter Personen oder Gegebenheiten zu aktualisieren. Das wäre ein uferloses Unterfangen gewesen. Alles, was in diesem Buch steht, sind – wie gesagt – Momentaufnahmen. Jahreszahlen am Ende der Geschichten weisen darauf hin, in welche Zeit diese Momente einzuordnen sind. So kann eine kleine Geschichte im Jahr 1982 spielen, eine andere im Vorjahr. Eine der handelnden Personen könnte also schon längst ihren Job gewechselt haben, eine andere gestorben sein. Sie alle leben in meiner Erinnerung weiter – und jetzt auch in diesem Buch.

Besonders viele – aber bei weitem nicht alle – Geschichten spielen auf Bornholm [oben] und Kreta

Es wird Lesern sofort auffallen, dass besonders viele Geschichten auf der kleinen dänischen Insel Bornholm spielen und in Griechenland, dort vor allem auf der Insel Kreta. Über beide Destinationen habe ich mehrere Reiseführer geschrieben und musste deshalb entsprechend oft hinreisen. Die Reisen nach Griechenland habe ich nicht gezählt, allein auf Kreta war ich bestimmt 40 Mal oder mehr, dies fast ausnahmslos dienstlich. Nur einmal habe ich dort Ferien mit meinen Söhnen verbracht. Bornholm habe ich schon besucht, als ich noch Redakteur bei einer Tageszeitung war.

20210417_124753Da gibt es beispielsweise die Geschichte, dass ich als erster deutscher Journalist über die sogenannten Guldgubber auf Bornholm berichtete. Das sind etwa 2000 hauchdünne Goldplättchen, in die Figuren geprägt sind. Die „Guldguber“, also „alte Männer aus Gold“ oder „Goldgreise“, wie die kleinen Figuren von den Fachleuten ein wenig ironisch genannt werden, sind nur ein bis zwei Zentimeter hoch. Sie stammen aus der Zeit der Völkerwanderung, ihr Zweck liegt noch im Dunkeln.

Oder die Geschichte, wie ich das tun darf, was eigentlich streng verboten ist: eine antike Statue streicheln. Diese Begegnung ganz besonderer Art fand im Akropolis-Museum in Athen unter einem Plastikzelt statt. Der Museumschef erlaubte mir, aus nächster Nähe mitzuerleben, wie eine der Karyatiden, jener „tragenden Damen“ von der Akropolis, mit Laser gereinigt wurde. Die Dame hielt ganz still bei meinen Streicheleinheiten.

Drittes Beispiel für meine Geschichten. Klopfenden Herzens saß ich dem Multitalent Friedensreich Hundertwasser in Wien gegenüber. Anlass meiner Reise war ein Interview für den Sender Freies Berlin anlässlich des neuen Hundertwasser-Museums KunstHausWien vor 30 Jahren. Eine ganze halbe Stunde wollte mir der Meister zur Verfügung stehen. Aber Minuten vor Beginn des Interviews drohte es zu platzen. Das hatte mit der Heizung zu tun. Mehr wird hier nicht verraten.

Verraten will und kann ich so einiges nicht, was mein neues Buch betrifft: Seitenumfang, Erscheinungsdatum, Preis… Es bleibt spannend.





Notizbuch: Ein Buch voller „Momentaufnahmen“

1 04 2021

Lauter kurze Geschichten aus einem langen Reiseleben

Donnerstag, 1. April 2021

In Israel bin ich einer jungen Dame mit umgehängter Maschinenpistole begegnet. Ihre Antwort, als ich sie nach ihrem Beruf fragte: „Ich bin doch Kindergärtnerin…“ In Kenia bin ich einmal von einem Klippschliefer gebissen worden. Im damaligen Jugoslawien habe ich zu einer Marienerscheinung recherchiert, die sich an Sommer- und Winterzeit orientierte. Auf Malta habe ich drei Mietwagen in drei Tagen verschlissen, in Wien Hundertwasser provokante Sätze entlockt. Das sind nur fünf von über 50 Geschichten, die ich in dem neuen Buch erzähle, an dem ich gerade schreibe.

In den vergangenen 50 Jahren habe ich zwei Destinationen besonders oft besucht, und zwar die kleine dänische Insel Bornholm und die große griechische Insel Kreta. Entsprechend viele Geschichten spielen demnach auf diesen beiden Inseln – auf Kreta eine mit dem Titel „…nur schade, dass sie hinkt“. Das ist auch der Titel des Buches.

Zwei Pole meines Reiselebens: Bornholm [oben] und Kreta

Die „kurzen Geschichten aus einem langen Reiseleben“, so der Untertitel, ersetzen natürlich keine Reiseführer. Auf die eingehende Schilderung der Destinationen, in denen sie spielen, verzichte ich. Sie sind Momentaufnahmen, so wie ich Gesprächspartner und Orte vor drei oder 30 Jahren erlebt habe. Einige der Interviewten haben einen anderen Job oder sind befördert worden, andere sind schon längst gestorben. Sie leben in diesen Geschichten weiter.

Die Orte in diesen Geschichten reichen von A bis Z, von der AIDAmar [Testreise mit meinem Enkel Henrik] bis Zypern [wo die EU mit ihren Vorschriften einem Abt , Foto links, den Weinanbau verhagelt]. Dazwischen liegen Athen [ich darf eine Karyatide streicheln], Budapest [Friseurbesuch im Géllert mit Folgen] und Karlsbad [Hotelinspektion im Bademantel]. Auf Skiathos habe ich einen Ehering im Sand verloren, in Tunis einen Tourismusminister interviewt, der für 18 Stunden Arbeit am Tag einen Dollar pro Monat verdient…

Das Buch ist schon das zweite, das an meinem Schreibtisch während der Lockdown-Zeit entsteht. Wie das erste – „Meine liebe Mutti – Kriegsbriefe meines Vaters an seine Frau“ – wird es im Verlag tredition erscheinen.

Und dies wieder in drei textlich identischen Fassungen, als Hardcover, Taschenbuch und eBook.  Die Preise müssen noch kalkuliert werden. Und das Erscheinungsdatum steht auch noch nicht fest. Frühsommer?

20210330_161530

 





Notizbuch: Was wäre mein Leben ohne Griechenland?

25 03 2021

Ein wenig wehmütige Erinnerungen an eine große Liebe

Donnerstag, 25. März 2021

Es stimmt nicht, was man heute landauf landab lesen kann: Heute ist es nicht 200 Jahre her, dass Griechenland die Selbständigkeit erlangte. Heute vor 200 Jahren begann die griechische Revolution mit dem Ziel, die Türkenherrschaft abzuschütteln. Bis zum selbständigen Staat war es noch ein langer Weg. Am heutigen griechischen Nationalfeiertag denke ich besonders innig an Griechenland. Ich liebe Griechenland und die Griechen – und auch die Griechinnen.

Zuerst einmal ein kurzer Blick ins Geschichtsbuch: Die griechische Revolution führte schließlich 1827 zur Bildung der ersten griechischen Regierung. Sie wählte Ägina er auf der gleichnamigen Insel als Hauptstadt und zog 1829 nach Nauplia auf dem Peloponnes. 1830 wurde Griechenland von den Großmächten zum selbständigen Staat erklärt, der übrigens bei weitem nicht so groß war wie das heutige Griechenland. 1832 wurde den Griechen von den Großmächten der erste König sozusagen aufs Auge gedrückt, es war der bayerische Prinz Otto, Sohn des bayerischen Königs Ludwig I. In Athen, Hauptstadt seit 1834, zeugen noch heute mehrere Bauten im bayerischen Prachtstil von dieser Epoche. Der neue König brachte auch ein hohes Kulturgut aus seiner Heimat mit nach Griechenland – das Bier und den Bierbrauer Fuchs [Fix Bier!].

Die große Insel Kreta ist neben der winzigen dänischen Insel Bornholm die große geografische Liebe meines Lebens. Sie blieb noch lange unter Türkenherrschaft, nämlich 77 Jahre. Erst 1898 wurde die Insel befreit und war zunächst ein eigener Staat.

Mit einem griechischen König hängt auch meine Griechenland-Liebe zusammen. Als ich zum ersten Mal mit dem Hellasexpress nach Athen fuhr, herrschte dort eine Art Ausnahmezustand. Der griechische König Konstantin II. heiratete die dänische Prinzessin Anne -Marie. Das war 1964. Tag und Nacht wurde in Athen gefeiert und man konnte kein Auge zutun. So flüchtete ich mit meiner Freundin auf die Insel Paros, die damals von Urlaubern praktisch noch unentdeckt war.

Paros – ein Traum von einer Kykladeninsel

Erst neun Jahre später reiste ich wieder einmal nach Athen, damals im Auftrag der Stiftung Warentest und als Leiter der Reiseredaktion der Verbraucherzeitschrift „test“. Mit dem Entschluss, das im Tourismus rasant aufsteigende Griechenland und das wachsende Hotelangebot zu testen, hatten wir es uns nicht leicht gemacht. Denn dagegen sprach die Tatsache, dass in Griechenland die Junta herrschte. Erst Melina Mercouri, die große Schauspielerin und spätere Kulturministerin, beendete unsere Überlegungen: Sie rief ausdrücklich dazu auf, gerade während der Obristen-Diktatur in Griechenland Urlaub zu machen, damit die Verbindung zwischen Deutschen und Griechen nicht abriss. Es folgten noch mehrere Dienstreisen nach Griechenland – 1979 zum ersten Mal nach Kreta. Seitdem hat mich die Insel fest im Griff und lässt mich nicht mehr los .

Kreta war auch der Grund, warum ich 1981 meine gut dotierte Stellung bei der Stiftung Warentest Aufgabe aufgab: Ich wollte für den Dumont Verlag einen Kreta-Reiseführer schreiben. Drei weitere Reiseführer über diese Insel sind dann gefolgt. Man muss sich das einmal in Erinnerung rufen: Zu der Zeit gab es noch kein Internet, und wer einen profunden Reiseführer schreiben wollte, musste lange in Bibliotheken recherchieren. Und monatelang lagen auf dem Fußboden 40 oder 50 Griechenland- und Kreta-Bücher.

In dieser Zeit habe ich viel über die Griechen und Griechenland gelernt. Aber kein Buch kann die persönliche Erfahrung, die persönliche Begegnung ersetzen. Sozusagen mein Mentor in Griechenland wurde mein Freund Diogenes Venetopoulos, dessen überwältigende Gastfreundschaft ich jahrelang genossen habe. Er war Inhaber der Reiseagentur Zeus Tours, vertrat unter anderem die Interessen des Reiseveranstalters airtours und legte den Grundstein zum Unternehmen Zeus Cruises. Stundenlang, ja tagelang haben wir zusammen gehockt und über Gott & die Welt geredet. Diogenes machte seinem Namen alle Ehre. Das kleine Foto zeigt ihn 1977 mit meinem Sohn Alexander.

Auf Kreta genoss ich über zwei Jahrzehnte die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft meines Freundes Panagiotis [„Panos“] Koutoulakis, der leider vor ein paar Jahre gestorben ist. Der Inhaber der Reiseagentur Minotours war wohl der beste Freund, den ich im Leben hatte. In dem Buch, an dem ich gerade schreibe, werden zahlreiche Geschichten über Athen und Kreta stehen und über die Menschen, die ich dort kennengelernt habe. Der Untertitel des Buches ist Programm: „Kurze Geschichten eines langen Reiselebens“.

Aber mit keinem Wort werde ich in dem Buch die beiden griechischen Frauen erwähnen, die ich geliebt habe und die mich einmal geliebt haben. Das gehört nicht an die Öffentlichkeit. Hier nur als Beleg dafür erwähnt, wie sehr ich in Griechenland und die Griechen „verstrickt“ bin.

Auch nach meiner Zeit bei der Stiftung Warentest und außer dem Schreiben der Reiseführer war ich Griechenland durch meine Arbeit eng verbunden. So habe ich drei Jahrzehnte lang für „touristik aktuell“ die Griechenland-Specials betreut – für mich immer wieder ein Fest und eine der schönsten Seiten meines Berufs. Die Corona Pandemie hat zumindest vorerst darunter einen Schlussstrich gezogen.





Notizbuch: Oles Insel

9 11 2020

Bornholmer Reminiszenzen III: auf den Erbseninseln

Montag, 9. November 2020

In meinem Beruf lerne ich viele neue Menschen kennen – bis zum Beginn der Corona-Krise in aller Welt und Monat für Monat. Viele sind mir auf den ersten Blick sympathisch. Wesentlich kleiner ist die Zahl der Menschen, die ich von der ersten Begegnung an mag. Einer davon ist Ole.

Ich habe ihn während meines letzten Bornholm-Aufenthalts kennengelernt, als ich einen Abstecher nach Christiansø machte, einem der beiden bewohnten Eilande der Inselgruppe, die sich Erbseninseln nennt. Dort hat Ole einen interessanten Job: Er ist Tourismuskoordinator von Christianø und der Nachbarinsel Frederiksø.

Hans Ole Matthiesen, so sein vollständiger Name, ist „zuständig für alle Nachrichten von der Insel“. Und hat schon so manche Idee entwickelt, die den Inseln gut tut und den Menschen dort, die vom Tourismus leben. Ole hat einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium, denn die Erbseninseln sind keine dänische Gemeinde, sondern unterstehen direkt dem Verteidigungsministerium, obwohl keine Soldaten dort wohnen. Das hat historische Gründe. Denn die beiden kleinen, befestigten Inseln waren einmal ein wichtiger Flottenstützpunkt.

Als unser Ausflugsschiff im Hafen von Christiansø einlief, haben meine Söhne Bend und Jesper und ich Ole unter den Inselbewohnern, die am Hafen standen, sofort erkannt. Ein stattlicher Mann mit offenen Gesicht und freundlichem Lächeln – so wie wir uns den idealen Dänen vorstellen. Die Begrüßung war herzlich, und Ole war in seinem Element.

Auf der Hinfahrt zu den Erbseninseln – links Bent, in der Mitte Jesper

Während die beiden Söhne allein die Insel durchstreiften, machte Ole mit mir einen Rundgang. Ich habe Christiansø in den letzten Jahrzehnten schon mehrfach besucht, aber vieles, was Ole erklärte, war mir neu. Schließlich ist er auch Ornithologe und Naturführer und bietet regelmäßig Führungen über die Insel auf Deutsch an. Sein Deutsch ist übrigens ausgezeichnet, auch in den Zwischentönen.

Was für ein beeindruckender Lebenslauf. Ole, Vater zweier erwachsener Kinder und Großvater, wuchs auf der Insel Als auf und machte 1974 das Abitur. Er absolvierte ein Lehrerstudium in Biologie und Sport und studierte anschließend an der Universität Århus Archäologie des Mittelalters. 1986  ging er an das Museum Viborg, von 1990 bis 1995 arbeitete er als Naturberater für Süddänemark. Weitere Stationen: von 1994 bis 1999 Direktor der Mittelalterburg Spøttup, 1999 und 2000 Archäologe in Ribe. Von 2000 bis 2019 war er Museumschef im Dänischen Nationalmuseum in Kongernes Jelling.

Oben: der für viele Millionen Euro überholte Große Turm. Die Ausstellung stammt von Ole. Unten: Postkartenidylle – historische Häuser auf Christiansø

Den Job auf Christiansø hat er sich „mehr oder weniger selber geschaffen“ [Ole]. 2017 schrieb er dem Inselverwalter und „versuchte ein paar Ideen loszuwerden“. Im selben Jahr macht er die faszinierende Ausstellung im restaurierten Großen Turm „und obendrauf noch 60 bis 70 Führungen“. 2018 schrieb Ole ein Strategiepapier für die Erbseninseln, und so ist es nicht verwunderlich, dass der Inselkommandant ihn fragte, ob er die neu geschaffene Stellung als Koordinator haben wollte. Ole: „2019 verließ ich den Job in Jelling und seit April 2019 bin ich hier.“ Und arbeitet „hier“ mit einer Begeisterung, die ansteckend ist. Dies allerdings nicht im Winter, dann wohnt er mit seiner Frau in Fredericia – bis er im März zurück ist auf Christiansø.





Notizbuch: Ingrids Museum

20 10 2020

Bornholmer Reminiszenzen II: Erinnerung an Martin Andersen Nexø

Dienstag, 20. Oktober 2020

Es ist ein kleines, wirklich nur sehr kleines Museum. Aber jeder Bornholm-Besucher sollte es gesehen haben. Es erinnert an einen der bedeutendsten europäischen Schriftsteller, der seine Wurzeln in Dänemark hatte und Deutschland sehr verbunden war: Martin Andersen Nexø. Eigentlich hieß er nur Martin Andersen und wählte den Namenszusatz Nexø, weil in dem Bornholmer Städtchen sein Elternhaus stand. Es dient heute als Erinnerungsstätte an den Schriftsteller. Dort habe ich Ingrid Kofod Larsen getroffen – wieder eine der unvergesslichen Begegnungen beim letzten Besuch auf meiner Lieblingsinsel.

Ingrid und ich kannten uns noch nicht, als ich mich mit ihr zum Interview verabredete. Sie ist die Leiterin der sechsköpfigen Teams, das sich ehrenamtlich um das kleine Museum kümmert. Die Verabredung klappte – wie immer in Dänemark – reibungslos. Zum Gespräch erschien Ingrid mit Kaffee und dänischen Kringeln – eine Geste, die ich in deutschen Museen noch nie erlebt habe. Da war nicht ein Quäntchen Misstrauen, noch nicht einmal Skepsis, sondern nur Offenheit. Ich habe das über Ingrid schon einmal In Facebook geschrieben: Sie ist eine der [sie mag mir das Adjektiv nachsehen] bezaubernden, geradezu süßen älteren Damen, an denen Dänemark so reich ist.

Und was ich an Interviewpartnern so mag: Sie war stolz auf ihre Arbeit und das Museum, ohne arrogant zu wirken. Aber nun zu Martin Andersen Nexø: Er hat nur drei Jahre in dem Haus gewohnt, von 1882 bis 1884. Das Museum wurde 1990 eröffnet, seit 1993 steht das Haus unter Denkmalschutz. Gerade ist es renoviert und umgestaltet und modernisiert worden. Die Ausstellung zeigt Porträtgemälde, Fotografien, Fotokopien seiner Briefe und persönliche Gegenstände. Und viele seiner Bücher.  Seine Werke wurden 10 Millionen Mal verkauft und in 44 Sprachen übersetzt.

Aber seien wir mal ehrlich: Wer von uns kennt schon Martin Andersen Nexø, den wohl bedeutendsten Vertreter der dänischen Arbeiterliteratur- Der Arbeiterklasse fühlte er sich Zeit seines Lebens verbunden, stammte er doch selbst aus ärmlichen Verhältnissen. Er wurde 1869 in Kopenhagen geboren und zog 1877 nach Bornholm. Das äußerst harte Leben der Bauern, Fischer und Arbeiter auf der Insel schildert der erste Teil des 1906 bis 1910 erschienenen vierbändigen Romans „Pelle der Eroberer“. Dieser Teil des Romanzyklus wurde  durch den gleichnamigen Film des Regisseurs Bille August berühmt, der 1987 auf Bornholm gedreht und ein Jahr später mit der goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet wurde. Er Film errang sogar einen Oscar als bester fremdsprachiger Film. Ein Jahr vor dieser berühmten Verfilmung drehte die Defa einen Film über das gleiche Thema und mit dem gleichen Titel, der im Fernsehen der DDR ausgestrahlt wurde. Ein ebenfalls sehr  sehenswerter Streifen.

Als Mitglied der dänischen kommunistischen Partei kam Martin Andersen Nexø 1941 während der deutschen Besetzung in Haft, aus der er zwei Jahre später über Schweden in die Sowjetunion floh- Nach dem Krieg kehrte er zwar nach Dänemark zurück ließ, sich aber 1951 In der DDR nieder. War Ehrendoktor der Universität Greifswald und Ehrenbürger der Stadt Dresden, wo er ab 1952 wohnte. Er starb 1954 im Alter von 84 Jahren und wurde in Kopenhagen auf dem berühmten Assistenz Friedhof beerdigt.

Nach der Wende bestand in Dresden kein Bedarf mehr an seiner Villa, die lange als Erinnerungsstätte gedient hatte. Ich war zufällig auf Bornholm und in Nexø, als 1990 sein Elternhaus in das Museum umgewandelt wurde. Damals wurden in dem frischgebackenen Museum antiquarischen ein paar Werke von ihm verkauft, die man aus Dresden herübergeschafft hatte. Ich erwarb einige Bücher, die heute in meiner Bibliothek stehen – ungelesen, wie ich gestehen muss. Das hole ich jetzt nach.